Federball oder Badminton? Federball ist eigentlich logischer, denn mit einem Ball aus Federn wurde anfangs, wird – neben Kunststoffbällen - heute noch gespielt. Der Begriff Badminton dagegen kam eher zufällig zustande. Der Duke of Beaufort stellte 1872 das Spiel in England vor, das er als Kolonialoffizier aus Indien mitgebracht hatte. Geschehen ist das auf seinem Landsitz namens Badminton House. Daher also der Name. Badminton, nicht Federball.

Denn mit Federballer möchte sich heutzutage kein ernsthafter Badmintonspieler bezeichnen lassen. Federball, das ist doch etwas, was man am Strand spielt oder im Garten hinterm Haus. Jenes Spiel also, bei dem das Ziel darin besteht, dass der Gegenspieler den Ball wieder treffen kann. Badminton dagegen, das ist Wettkampf, das sind Tricks und harte Schläge, damit der Mann oder die Frau auf der anderen Seite des Netzes, den Ball möglichst nicht wieder zurückschlagen kann.

Dabei ist es eigentlich gar nicht so lange her, dass die Badmintonspieler schlicht Federballer waren, zumindest im Osten Deutschlands. Denn als in Merseburg alles mit Badminton begann, hieß vor 60 Jahren die zuständige Sportabteilung in der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Stahl Merseburg schlicht Sektion Federball. Und genau in dem Jahr, also 1958, entstand in der DDR der Deutsche Federball Verband, fünf Jahre, nachdem im Westen der Deutsche Badminton-Verband gegründet worden war.

Sektionsleiter bei der BSG Stahl war damals Rudi Mandler. Zehn Jahre lang steuerte er die Geschicke der Federballer, ehe es ihn wieder zum Fußball zog, von wo er 1958 gekommen war. Aber er legte mit seiner Arbeit den Grundstein für eine erfolgreiche Entwicklung der Sportart in Merseburg. Ein ganz großes Highlight in der 60-jährigen Geschichte war, als es der Verein schaffte, mit einer Mannschaft in die DDR-Oberliga einzuziehen.1974 gelang der Aufstieg ins DDR-Oberhaus. Peter Schneider, Kurt Preißler, Norbert Jorde, Rainer Lorenz, Birgit Hartmann, Claudia Schüller und Gisela Werther schafften den Sprung, der 1979 - in einer etwas veränderten Besetzung - mit dem dritten Platz in der DDR-Meisterschaft gekrönt wurde. „Mehr war auch nicht drin“, erinnert sich Eberhardt „Ebbo“ Werther. „An Greifswald und DHfK Leipzig kam keiner vorbei.“ Das wurde besonders auch bei den Einzelmeisterschaften in jenen Jahren deutlich. Die Nachwuchsarbeit hat dabei immer eine große Rolle gespielt. In den 1980er Jahren war die Merseburger Nachwuchsabteilung besonders stark, da holte sich die Jugend 1988 sogar den DDR-Meistertitel der Altersklasse U14.

Einige aus der Topmannschaft der 1970er Jahre spielen auch heute noch im Verein im Freizeitbereich. Und von manchen ist inzwischen die nächste und übernächste Generation nachgerückt. Zum Beispiel die beiden Jorde-Söhne Alexander und Sebastian bildeten lange den Kern der 1. Mannschaft. Mittlerweile machen sich Enkel auf, in die Fußstapfen der Mütter und Väter, der Großmütter und Großväter zu treten wie Alexanders Sohn Constantin.

Die Begründer des Federballs in Merseburg um Rudi Mandler fanden die neue Sportart schick. „Ich war eigentlich Fußballer, aber das Spiel war faszinierend, also haben wir einfach angefangen.“ So fasste der mittlerweile gestorbene Rudi Mandler vor zehn Jahren beim 50. Jubiläum seine Motivation und die der anderen Gründungmitglieder zusammen. Sein Nachfolger als Sektionsleiter Ebbo Werther hatte noch einen anderen Grund: „Die hatten damals beim Federball die hübschesten Mädchen.“ Eine davon hat er geheiratet. Mit Gisela trainierte und spielte er gemeinsam und ist mit ihr bis heute zusammen. Zu den Trainingszeiten ist Ebbo meist auch in der Halle, oft greift der 77-Jährige noch selbst zum Schläger. Fast logisch, dass Kinder und Enkel ebenfalls den Weg zum Badminton fanden. Ebbo war es auch, der der erste Vorsitzende wurde, als sich die Badmintonspieler vor 25 Jahren einen eigenen Verein gaben, den Verein für Badminton Merseburg. Vor einigen Jahren gab Ebbo den Vorsitz ab, Andreas Riemer übernahm das Ruder, nachdem Ebbo mehr als 40 Jahre den Herzschlag des Vereins bestimmt hatte. „Ebbo kümmerte sich einfach um alles, war immer ansprechbar. Ohne ihn gäbe es den Verein wohl heute nicht“, lobte einmal Roland Graupner, der 1966 als 24-Jähriger zum Badminton kam und auch heute noch dabei ist.

Die Gründung der Federball-Sektion hatte 1958 eingeschlagen. „Wir waren ganz schnell 30 Mitglieder“, erinnert sich Werther. Aktuell gehören dem VfB Merseburg 118 Mitglieder an, wie der heutige Vorsitzende Alexander Jorde – er wurde 2016 gewählt - anlässlich des 60. Jubiläums bilanzieren konnte. Das sind immerhin 20 mehr als vor zehn Jahren. Fast ein kleines Wunder in Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche eher zum Fußball drängen oder gar keine Lust auf Sport haben. Allerdings hängt das wohl auch damit zusammen, dass Badminton wie kaum eine andere Sportart für den Volkssportbereich geeignet ist. So gehören 53 der Mitglieder eben diesem Bereich an, haben die 40, die 50 und auch die 60 überschritten. Sie kommen nahezu ebenso regelmäßig zum Training wie die 37 Kinder und Jugendlichen oder die 28 Senioren - also Erwachsenenspieler. Während Kinder und Jugendliche sowie die Senioren um Ranglistenpunkte kämpfen, an Meisterschaften teilnehmen und die Spieler für die beiden Landesliga-Mannschaften stellen, nehmen die Freizeitspieler an diversen Turnieren teil und spielen in zwei Mannschaften, die in einer Freizeitliga mit benachbarten Kreisen starten. Das alles ist weiterhin erfolgreich. Alle Erfolge aufzuzählen, das wäre allein ein seitenfüllendes Programm. 2018 gab es neben guten Platzierzungen der 1. und der 2. Mannschaft in der Landesliga die Landesmeisterschaft der Schülermannschaften U 11 und U 13 zu feiern sowie Landesmeistertitel bei den Senioren in verschiedenen Altersklassen. Sylvia Jorde wurde bei den über 35-Jährigen bei den norddeutschen Meisterschaften Dritte im Dameneinzel und ebenso im Damendoppel mit ihrer Partnerin Yvonne Schwambach.

Seit 2017 ist der traditionsreiche VfB auch Leistungsstützpunkt des sachsen-anhaltischen Badmintonverbandes. Seit 2004 richtet er zudem das größte Turnier für Freizeitspieler im Land aus. Bis 2016 gelang das gemeinsam mit der Mitteldeutschen Zeitung. Nach deren Rückzug als Namensgeber und Geldgeber ist der VfB alleiniger Veranstalter des MZ-Turniers. Dabei steht MZ mittlerweile für Merseburger Zaubersprüche.

Übrigens: Als Badminton vor 146 Jahren nach Europa kam, hatten die Spieler ein Problem. Es fehlte an geeigneten Spielstätten. Die verfügbaren Hallen waren viel zu niedrig. So wurde an durchaus ungewöhnlichen Orten gespielt, denn die einzigen uneingeschränkten „Hallen“ waren die hohen Mittelschiffe von Kirchen. Dass Merseburg heute eine der Hochburgen dieser Sportart in Sachsen-Anhalt ist verdankt es auch dem Umstand, dass mit der Rischmühlenhalle und der Dürerhalle zwei Sportbauten entstanden sind, die den Federbällen eine hindernisfreie Flugbahn erlauben.

Badminton hat sich zu einer Sportart mit höchsten Ansprüchen an Physis und Psyche entwickelt. Martin Knupp, Autor verschiedener Badmintonbücher, hat das einmal zusammengefasst und wird so  bei Wikipedia nach dem Yonex-Badminton-Jahrbuch 1986 zitiert:  „Ein Badmintonspieler sollte verfügen über die Ausdauer eines Marathonläufers, die Schnelligkeit eines Sprinters, die Sprungkraft eines Hochspringers, die Armkraft eines Speerwerfers, die Schlagstärke eines Schmiedes, die Gewandtheit einer Artistin, die Reaktionsfähigkeit eines Fechters, die Konzentrationsfähigkeit eines Schachspielers, die Menschenkenntnis eines Staubsaugervertreters, die psychische Härte eines Arktisforschers, die Nervenstärke eines Sprengmeisters, die Rücksichtslosigkeit eines Kolonialherren, die Besessenheit eines Bergsteigers sowie über die Intuition und Phantasie eines Künstlers. Weil diese Eigenschaften so selten in einer Person versammelt sind, gibt es so wenig gute Badmintonspieler.“

Aber wenigsten ein bisschen davon haben wir doch alle.